Der Weiterbildungsverbund ZUKUNFTmobil möchte Unternehmen und Beschäftigte für die Transformation fit machen. Das beginnt schon mit dem Verständnis derselben. Ein Gespräch über echte Transformation und wie man sie lernen kann.
Aussagen wie „Wir erleben gerade eine große Transformation“ sind schnell dahingesagt. Aber was heißt das eigentlich, Transformation?
Stefan Enzler: Das ist eine Killerfrage und man kann natürlich viele verschiedene Antworten darauf geben. Um Transformation zu verstehen, sollte man aber zunächst vergegenwärtigen, dass dies keine Fortschreibung des Bisherigen ist, nur ein bisschen anders. Vielmehr ist das eine andere Qualität. Das ist der Unterschied zum Changemanagement: Es geht um einen tiefgreifenden Wandel. In der Zusammenarbeit mit Unternehmen höre ich oft, „Wir müssen uns fundamental transformieren. Aber wir haben so wenig Zeit. Deshalb möchten wir jetzt so ein paar dringende Dinge adressieren und auf die Kultur schauen wir später.“ Das heißt, Unternehmen möchten das Gewohnte fortschreiben, nennen es nur anders. Das ist keine Transformation. Transformation ist das wesentlich Andere.
Was ist falsch daran, ein paar Dinge anzupassen und nachzujustieren?
Daran ist nichts falsch, aber es kann in die totale Überforderung führen. Mitarbeitende haben meistens bisher schon genug zu tun, viele arbeiten am Anschlag. Dann packt man einfach noch etwas on top. Priorisieren und weglassen fällt oft schwer. Noch schwerer ist es, die eigenen Routinen zu ändern, die Art und Weise, wie man Dinge tut. Oft werden Unternehmen irgendwie effizienter oder produktiver in irgendeiner Form, wenn sie mehr vom Gleichen machen. Doch das genügt angesichts der Transformation im eigenen Umfeld und am Markt eben trotzdem nicht.
Menschen wissen, dass Transformation nötig ist – zum Beispiel im Zuge des Klimawandels. Warum bleibt der System-Shift dann oft trotzdem aus?
Wenn man wirklich in Transformation reingeht, enden Dinge, die man liebgewonnen hat oder die man automatisch tut. Manche Teile der Arbeit bleiben, bekommen aber eine andere Funktion und Ausrichtung. Werte oder die Bedeutung bestimmter Werte verändern sich. Neue Werteebenen tauchen auf. Neue Haltungen und Sichtweisen gehen von denen aus, die Transformation und Bewegung initiieren, sollten dann aber die gesamte Organisation erfassen. Diese Art des Wertewandels geht nicht nur in die Breite, sondern in die Tiefe. Mit einer neuen Werthaltung verändern sich Kultur, Struktur, die Art der Kommunikation und die Menschen-Begegnung. Das ist ein richtiger Shift und der ist nicht einfach.
ZUKUNFTmobil fokussiert die Mobilitätsbranche. Welche Form der Transformation braucht es da?
Der Wandel in der Mobilitätsbranche ist fundamental und findet in einer enormen Geschwindigkeit statt. Nachfragemärkte, Technologien, Antriebstechnik – es verändert sich vieles gleichzeitig. Einiges ist noch im Fluss. Klar ist aber, dass wirklich eine neue Form der Mobilität entsteht. Von der Art der Fahrzeugtechnologie und -typologie hängt die ganze Zuliefererindustrie ab. Natürlich müssen Beschäftigte für die Arbeit mit neuen Technologien neue fachliche Kompetenzen aufbauen. Aber das ist nicht alles und oft auch nicht der erste Schritt. Viel wichtiger ist die Bereitschaft, laufend weiter zu lernen. Das fängt mit der Haltung an. Menschen brauchen innere Beweglichkeit. Denn die Art der Zusammenarbeit, Berufsbilder, Karrierewege – das lernen wir nicht nur einmal und können das dann. Wir müssen uns laufend an komplett andere Gegebenheiten anpassen.
Aber was ist gewonnen, wenn sich nur die Haltung von Beschäftigten ändert? Es kommt genauso auf die Systeme, Strukturen und Prozesse an…
Natürlich, das muss Hand in Hand gehen – ganzheitlich oder integral. Wenn ein Geschäftsführer oder eine Geschäftsführerin sagt, wir müssen digitaler werden, haben sie meistens schon den bekannten Spruch von Peter Drucker im Kopf: „Culture eats Strategy for Breakfast“. Dann denken sie womöglich, sie müssen erst die Kultur bereit machen, dann kann es auch mit der Digitalisierung losgehen. Aber das funktioniert nicht. Auch umgekehrt wird kein Schuh draus, nur die Technik bereitstellen und dann läuft alles – das ist auch nicht die Lösung. Man muss das zusammendenken. Man muss sich also anschauen: Was prägt die Kultur? Wie gehen Menschen miteinander um? Wie steht es um ihre Beziehungsfähigkeit? Wie motiviert sind sie, den Wandel zu gestalten oder zu bremsen? Und entsprechend sollten die Strukturen gestaltet sein.
Das klingt aber auch nach Mehrarbeit…
Ja, das stimmt. Und das ist es auch. Aber es ist eben Mehrarbeit, die Transformation den Weg bereitet. Darin muss man schon investieren wollen. Deshalb ist es ganz wichtig, dass die Menschen die Transformation mitgestalten können und sich nicht als Opfer von Transformation fühlen, sondern sie darin auch selbst Chancen für sich erkennen, weil sie oder ihr Unternehmen eine bessere Zukunft vor sich haben. Wenn sie sehen, dass sie Teil eines großen Ganzen sind, haben sie viel mehr Energie zur Verfügung und sind auch bereit, sich dafür einzusetzen. Sonst wissen Beschäftigte schon, wie sie dafür sorgen, dass es mit der Veränderung nicht klappt.
Damit die Mitgestaltung nicht im Chaos endet: Was sollte man vorgeben und was sollte frei gestaltbar sein?
Zunächst braucht es eine Grundausrichtung. Organisationen sollten sich also als erstes ein ganzheitliches Zukunftsbild erarbeiten. Es braucht eine Vision, die das Herz der Mitarbeitenden berührt. Also etwas Kraftvolles, das eine gewisse magnetische Kraft hat. Das kann ein grobes Bild sein. Von da aus entwickelt man sich dann in verschiedenen Dimensionen gemäß der Strategie. Dazu gehört auch, herauszufinden, wo man gerade steht. Den Ist-Zustand gemeinsam zu beschreiben ist manchmal gar nicht so leicht, weil Menschen oft unterschiedliche Bilder davon haben. Und dann ist es natürlich eine Frage des Settings, wie man Bewegung in die richtige Richtung hineinbekommt. Da schauen wir immer, wo sind denn mögliche Pilot-Teams, Gruppierungen, die wollen und wo man schnell etwas bewegen kann. Wichtig ist: Mitgestaltung bis hin zur Selbstorganisation heißt nicht Selbstüberlassung. Es sollte eine klare Ausrichtung geben und klar sein, wo alle hinwollen. Auf dem Weg können dann auch interne Coaches oder Enabler unterstützen. Manchmal braucht es Trainings, Coaching oder Mediation. Denn bei Veränderung kann immer Spannung und Reibung entstehen. Da muss man aufpassen, dass daraus kein Gegeneinander wird.
Wie sieht es mit neuen Methoden der Zielsetzung wie zum Beispiel Objectives and Key Results (OKRs) aus: Welchen Beitrag können sie zur Transformation leisten?
Erst kürzlich war ich in einer Organisation, die über den Zeitraum von einem Jahr mit externer Begleitung OKRs eingeführt und dafür richtig viel Geld ausgegeben hat. Die Idee besteht ja eigentlich darin, dass Mitarbeitende selbst bestimmen, welchen Beitrag sie zu bestimmten grob abgesteckten Zielen leisten können. Aber die Geschäftsführung hat dann doch selbst die Ziele heruntergebrochen und Mitarbeitende dazu verpflichtet, entsprechend an sie zu berichten. Somit hat sie die Eigensteuerung wieder geknickt. Zunächst glaubten die Beschäftigten, wow, wir bekommen tatsächlich ein Empowerment-Tool an die Hand. Dann entpuppte sich alles als Luftnummer. Es wird weiterhin von oben durchregiert, nur heißt die Sache jetzt anders. Das ergibt gar keinen Sinn. Es gibt schöne Methoden, aber sie müssen schon zu den Werthaltungen der Führungspersonen und Mitarbeitenden und zum Reifegrad der Organisation passen. Sonst kann das auf Dauer für die beteiligten Menschen sehr bitter sein.
Ein Totschlagargument für jede Form von Weiterbildung ist oft: Dafür haben wir keine Zeit. Was kann Transformation noch bremsen?
Viele Unternehmen haben heute noch eine Vorstellung von Leistung, die sehr stark die Einordnung in richtig oder falsch kennt. Man weiß genau, was bei einer Weiterbildung herauskommen muss. Die Um-Priorisierung von operativem Tun hin zu Lernen und Arbeiten am System ist eine der größten Herausforderungen. Deshalb ist es meistens der richtige Weg, mit den Führungskräften zu starten. Denn viele haben die Haltung, das hat doch immer so funktioniert. Man macht einen Abschluss, absolviert Klausuren und sammelt Zertifikate. Und das soll sich dann in den KPIs des Unternehmens spiegeln, die oft auf Erfolgen der Vergangenheit basieren. Den Sprung der Transformation kann man aber nicht aus dem Erfahrungswissen nehmen. Er entsteht, wenn Menschen sich auf das Wir einlassen und gemeinsam herausfinden und lernen, wie Transformation geht.
Mit welcher Erwartungshaltung und Unterstützungsanfragen treten denn Unternehmen an ZUKUNFTmobil als Weiterbildungsverbund heran?
Natürlich ist das je nach Unternehmen verschieden. Aber viele kommen schon mit der Frage: Welche Kompetenzen brauchen die Beschäftigten in Zukunft? Welche Future Skills sind entscheidend? Und wie nehmen wir Mitarbeitende bei der Transformation mit? Aber auch: Wie können wir für Beschäftigte attraktiv bleiben und Arbeitsplätze umgestalten? Unternehmen brauchen zum einen Wissen über neue Technik-Anwendung oder Innovationsmethoden wie Rapid-Prototyping. Genauso wichtig ist aber auch die Fähigkeit als Organisation vernetzter zusammenzuarbeiten. Ein Vielfaches der Lebens- und Arbeitskapazität verpufft heute im Arbeitsalltag einfach, weil sie in Missverständnissen, in Reibung, in Frustration, in Enge, in Spannungen, in Widerständen, in wiederkehrenden Ängsten, in Überforderungssituationen einfach verpuffen. Doch vor allem in KMUs fehlt häufig die Kapazität, um systematisch an Personalentwicklung zu arbeiten.
Wie hilft der Weiterbildungsverbund dabei konkret weiter?
Die Unterstützung hat mehrere Ebenen: Zum einen die Weiterbildung – sei es für innere Beweglichkeit oder Fachthemen. Durch die Diversität der Partner:innen im Verbund sind wir hier breit aufgestellt. Zum Beispiel ist die WBS Training dabei, die ein großes Portfolio an fachlichen Weiterbildung anbietet. Außerdem können sich Arbeitgebende in dem Weiterbildungsverbund vernetzen, sich durch das Angebot durchbewegen und ihren eigenen Blumenstrauß an Unterstützung zusammenstellen. Vieles ist dabei von den Arbeitsagenturen gefördert. Um herauszufinden, wo man steht und wo noch Gaps sind, haben wir ein kostenfreies Checkup-Tool entwickelt. Jeder kann es auf der ZUKUNFTmobil-Website nutzen und ein Erstgespräch mit unseren Kolleg:innen führen, die die Ergebnisse einordnen. So möchten wir Unternehmen dabei helfen, nicht in Schockstarre zu verfallen, in der Hoffnung, dass das mit der Transformation schon irgendwie vorbeigeht. Wenn sie innere Beweglichkeit und weitere nötige Kompetenzen lernen, können sie anfangen sich zu öffnen und sich selbst neu zu erfinden.